Wir haben von der Natur eine Fähigkeit bekommen, die wahrscheinlich nur wir Menschen haben. Unser Selbstbewusstsein. Und nein, ich meine mit Selbstbewusstsein nicht, dass wir uns wertvoll finden. Denn das ist eigentlich nicht das, was man unter Selbstbewusstsein versteht. Selbstbewusstsein bedeutet einfach nur, dass wir dazu in der Lage sind, uns selbst reflektieren zu können. Dass wir logische Schlüsse ziehen können und dementsprechend die Möglichkeit haben, abzuwägen, welche Entscheidung wir treffen möchten oder müssen.
Selbstbewusstsein hat also etwas mit unserem Verstand zu tun. Und wie das so mit Fähigkeiten ist, die wir einfach so ungefragt im Leben geschenkt bekommen, wissen wir nicht unbedingt gleich, wie wir sie sinnvoll für uns einsetzen können. Und empfinden sie entweder als Last, oder sind uns der Kraft dieser Fähigkeit gar nicht ausreichend bewusst.
Natürlich ist uns allen klar, dass wir Menschen in der Lage sind, unseren Verstand einzusetzen, um Dinge zu hinterfragen. Und tun dies auch wahnsinnig gern. Aber leider nutzen wir diese Fähigkeit nicht nur, wenn es notwendig ist, sondern meistens auch dann, wenn es eigentlich total kontraproduktiv ist. Zum Beispiel hinterfragen wir ununterbrochen unseren Selbstwert. Wir sind uns unsicher, ob wir wirklich wertvoll sind. Vor allem, wenn wir nicht wissen, warum wir denn überhaupt wertvoll sein sollten. Was tun wir schon besonderes, um als wertvoll zu gelten? Werden wir überhaupt gebraucht? Und wofür? Sind wir gut genug? Wie müssen wir denn nun sein, um wirklich wertvoll zu sein?
Oder aber wir können keine Entscheidungen treffen, weil wir Angst haben, dass sich am Ende herausstellt, dass die Entscheidung falsch war. Auch das hat etwas mit unserem Selbstbewusstsein zu tun. Und damit, dass uns die Gabe, reflektieren zu können, oft blockiert, anstatt wirklich eine Hilfe zu sein. Wenn wir etwas bedenken und analysieren, dann tun wir das im Kopf. Wir überlegen uns die Folgen, schätzen Wahrscheinlichkeiten ab, setzen uns damit auseinander, ob etwas gut oder schlecht für uns wäre. Und all das, was wir uns da in unserem Kopf so zusammenreimen, ist das Ergebnis unseres bisherigen Wissens und unserer Erfahrungen. Nie, aber auch wirklich niemals, entscheiden wir, ohne dass unser Wissen und unsere Erfahrungen diese Entscheidungen beeinflussen. Auch nicht, wenn wir aus dem Bauch heraus entscheiden. Denn auch unser Bauchgefühl ist etwas, was durch unsere ganz persönlichen Glaubenssätze beeinflusst wird. Wenn wir z.B. innerlich davon überzeugt sind, dass wir nicht wichtig sind, dann wird unser Bauchgefühl bei der Frage, ob wir den Schritt wagen, jemanden anzusprechen oder nicht, uns eher dahin tendieren lassen, dass wir es nicht tun. In diesem Fall ist unser Bauch höchstwahrscheinlich sogar mit unserem Verstand derselben Meinung.
Blöd ist es, wenn unser Verstand etwas ganz anderes sagt, als unser Herz (oder Bauchgefühl). Dann sind wir nämlich im Zwiespalt. Und dann macht uns unsere Gabe, Dinge reflektieren zu können, oft sehr zu schaffen. Unser Herz weiß, welche Entscheidung wir treffen müssen, um uns besser zu fühlen als bisher. Aber unser Verstand kommt dann mit so vielen Argumenten daher, warum es unklug wäre. Oder egoistisch. Oder Quatsch. Oder dass es uns in etwas wieder zurückwirft, was wir glauben, schon erreicht zu haben. Wir grübeln und überlegen. Wir entscheiden und verwerfen wieder. Wir zweifeln und werden unsicher. Wir werden ungeduldig und frustriert. Wir resignieren eine Zeit lang. Und dann überkommt uns die Dringlichkeit einer Entscheidung erneut. So schieben wir Dinge vor uns her, die wir längst hätten angehen sollen. Nur aus Angst, dass wir sie noch nicht genug durchdacht haben. In Wahrheit haben wir sie oft bereits „zerdacht“. Von vorne bis hinten.
Stell dir mal vor, ein Fuchs wäre bei der Jagd und würde erst lang und breit folgendes überlegen: „Hm, da vorne sitzt eine Maus. Wenn ich die jetzt schnappe, hab ich was zu fressen. Aber eigentlich ist sie ziemlich klein. Es wäre doch cleverer, wenn ich mir einen Hasen oder was anderes größeres suche und das dann fresse. Dann werde ich davon vielleicht auch satt. Die Maus ist ja eher nur ne Vorspeise. Da muss ich mir ja dann noch mehr Beute suchen, damit ich satt werde. Und das dauert. Vielleicht finde ich dann ewig nichts weiter… Andererseits könnte ich mir das ewige Gejage sparen, wenn ich gleich auf Hasenjagd gehe und die Maus nicht fange. Anstatt hier ne Maus und da ein Häppchen zu fressen. Aber wenn ich heute keine andere Beute mehr vors Gesicht bekomme? Dann bleib ich hungrig. Sogar noch mehr, als wenn ich die Maus da schon mal als Appetithäppchen verspeist hätte. So gesehen ist es doch cleverer, mir die Maus zu schnappen und dann noch einen Hasen oder ein Huhn zu suchen. Hm… Wenn ich dann aber weiterjage und dann doch noch ein größeres Beutetier ergattere? Und wenn ich das dann nicht schaffe, weil ich vorher schon 2, 3 Mäuse gefressen hab? Dann wäre das ja Verschwendung. Dann hätte ich mir auch gar nicht die Mühe machen müssen, diese Maus oder noch weitere zu fangen…“
Puh… zum Glück haben Tiere die Gabe des Selbstbewusstseins nicht. Sonst wären sie womöglich schon verhungert. Oder stell dir mal die Maus vor? Angenommen die Maus würde sitzen bleiben, den Fuchs beobachten und darüber spekulieren, ob der Fuchs sich für sie als Beute entscheidet. Und sie würde versuchen zu erraten, ob der Fuchs lieber mehrere kleine Mahlzeiten erbeutet oder ob er auf sie verzichtet, weil ihm eine größere Beute lieber wäre. Dementsprechend könnte die Maus dann die Gefahr, in der sie sich befindet, völlig unterschiedlich einschätzen. Zu ihrem Vorteil. Oder aber zu ihrem Nachteil. Mal ganz davon abgesehen, dass eine grübelnde Maus eine nicht so schwere Beute wäre… Was die Überlegungen des Fuchses dahingehend beeinflussen könnte, dass er sich doch die Maus schnappt. Wäre ja dann nicht mega anstrengend. Oder aber er überlegt, warum die Maus nicht flieht. Ob sie vielleicht einen Grund dafür hat…
Manchmal ist es einfach besser, darauf zu hören, was unser Herz sagt. Und dem Verstand eine Pause zu gönnen. Denn mal ehrlich: Kann unser Verstand wirklich eine gute Entscheidung darüber treffen, was uns glücklich machen würde? Wäre es denn dann Glück? Oder eher Schlauheit?
Selbstbewusstsein zu haben, bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir dieses IMMER nutzen müssen. Wir können uns auch dazu entschließen, etwas nicht zu durchdenken und lieber auf unser Gefühl oder unsere Intuition zu hören.
Wenn wir verstanden haben, dass die Gabe, unsere Handlungen und Entscheidungen zu überdenken, etwas ist, was wir nutzen KÖNNEN, aber nicht MÜSSEN, dann können wir diese Fähigkeit als ein Geschenk sehen. Erst dann empfinden wir sie nicht mehr als Last. Dann wird das Leben leichter.